Der Berg kreißte und gebar ein Mäuschen
Horaz beschreibt es höchst anschaulich in seiner ars poetica: Großen Ankündigungen folgen allzu oft in der Wirklichkeit Bagatellen. „Hohle Versprechungen“ nennt es der Volksmund, häufig auch „außer Spesen nichts gewesen“. Die aktuelle innenpolitische Debatte in Deutschland – sei es über das „Erneuerbare – Wärme-Gesetz“ oder das Ewigkeitsthema Ehegattensplitting -ist beredtes Beispiel dessen. Warum also sollte es beim Dauerstreit um das „Gendern“ anders oder gar besser sein?
Am 14. Juli 2023 tagte in Eupen im deutschsprachigen Teil Belgiens der „Rat für deutsche Rechtschreibung“, um das „Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung – Regeln und Wörterverzeichnis“ zu verabschieden. Dies gelang. Der Auftraggeber, also die deutsche Kultusministerkonferenz sowie die Regierungen der anderen Länder-Österreich, die deutschsprachige Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg sowie die deutsche Gemeinschaft Belgiens-wird das Dokument dankbar zur Kenntnis nehmen.
Freilich interessiert das die Öffentlichkeit mitnichten. Sie erwartete stattdessen vom Rat fundierte und eindeutige Beschlüsse zum Gebrauch der „Sonderzeichen“ – Asterisk (Sternchen), Unterstrich, Doppelpunkt, Binnenmajuskel oder Schrägstrich – im Bereich Schule und öffentliche Verwaltung. Das derzeitige Chaos ist immens: Im Grunde macht jeder, was er will. Immer häufiger kommt es zu Sanktionen bei Examensarbeiten, Anträgen auf Fördergelder oder geplanten Beförderungen: Wer nicht gendert, wird bestraft! Die Sprachpolizei wütet.
Die bisherige Situation lässt sich etwa so beschreiben: Der Rat hatte sich, zuletzt 2021, dazu durchgerungen, diese Sonderzeichen nicht zu empfehlen, weil sie nicht zum Inventar der Orthographie (Rechtschreibung) gehörten. Er verwies zu Recht auf die Gefahren, die die flächendeckende Verwendung dieser Zeichen brächten: Die Einheit im deutschen Sprachraum, die Verständlichkeit und Lesbarkeit der Texte, die Korrektheit des sprachlichen Ausdrucks, die Übersetzbarkeit sowie die Erlernbarkeit bei Mutter-wie Fremdsprachlern würden beseitigt bzw. erschwert. Ich füge hinzu, dass die überwältigende Mehrheit der Deutschsprachigen Sternchen und andere Sonderzeichen aus den genannten Gründen ablehnt. Obendrein habe sie andere und weit wichtigere Probleme: Inflation, Langzeit-Covid, Klimakatastrophe, Ukrainekrieg. Der fundamentale Grundsatz der Demokratie, dass nämlich die Mehrheit bestimmt und die Minderheiten Schutz genießen – nicht umgekehrt – würde zudem außer Kraft gesetzt.
Eine klärende und eindeutige Stellungnahme des Rates – einzige legitimierte Institution in der Frage der Rechtschreibung – wäre mithin vonnöten gewesen. Doch der kreißende Berg gebar ein Mäuschen! Man wolle, heißt es, die weitere sprachliche Entwicklung beobachten und abwarten: „Diese Wortbinnenzeichen gehören nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie…Ihre Setzung kann in verschiedenen Fällen zu grammatischen Folgeproblemen führen, die noch nicht geklärt sind“.
Geht es noch flauer und inhaltsleerer?
Im Vorfeld hatte sich bereits angedeutet, dass der Rat in dieser Frage vollkommen zerstritten ist. Die Gegner der Sonderzeichen, darunter der Verfasser, verwiesen auf die erwähnten Gefahren sowie auf innersprachliche Fehler, Ungenauigkeiten, Absurditäten („Krankenschwesterin“, „Mitgliederin“, statt „Mutter“ solle es hinfort „gebärende Person“ heißen), unästhetische Texte (Im Goethe-Institut werden Stellenausschreibungen mit „mensch“ statt des üblichen „m/w/d“ gekennzeichnet) und allgemeine Unsicherheit vor allem in den Schulen, falls der Rat nicht nur seine Stellungnahme von 2021 bekräftigte, sondern aus der Empfehlung zumindest einen Handlungsvorschlag ableitete. Zu einem Gebot oder gar Verbot der Zeichen ist der Rat nicht befugt; dies kann lediglich durch politische Gremien wie Parlament oder Kultusministerium geschehen. Danach sieht es nirgendwo aus; vielmehr wird sogar in Auftragstexten der Kultusministerkonferenz gegendert. Sie fällt damit dem Rat, den sie selbst geschaffen hat, in den Rücken.
Die Gender-Befürworter im Rat – zumeist Frauen – verwiesen vor allem auf die vermeintliche gesellschaftliche Anerkennung der Minderheiten mithilfe des Sternchens, zumal bei deren Identitätsfindung. Dabei übersehen sie, dass jede Identitätsbildung eine Ausgrenzung des Anderen bedeutet und damit die Gesellschaft eher spaltet als eint.
Vor allem aber wollten sie die Streichung der Empfehlung von 2021. Da sie freilich dafür (noch) keine Mehrheit im Rat sahen, wollten sie lieber keine Entscheidung als eine, die ihnen nicht passte. Also versuchten sie es mit einem faulen Trick: Einer ihrer Vertreter, bezeichnenderweise ein Mann, der Direktor des Mannheimer Leibniz-Instituts für deutsche Sprache, Henning Lobin, schrieb im Vorfeld: „Der Rat für deutsche Rechtschreibung äußert sich nicht zu der Frage, ob Genderzeichen verwendet werden können oder gar sollen. Dies liegt nicht im Bereich der Orthographie, derartige Fragestellungen liegen deshalb nicht im Zuständigkeitsbereich des Rats.“
Ich reagierte postwendend: „Dies wäre nichts weniger als der Offenbarungseid des Rates.“ Es sei schlechthin absurd, ein Problem dadurch zu „lösen“, indem man es wegdefiniere! Alle Welt im deutschsprachigen Raum debattiere heftig und verbissen darüber, freilich bei weithin fehlender Unkenntnis der sprachwissenschaftlichen Grundlagen und Inhalte, – und die einzig dafür legitimierte Institution erkläre sich für nicht zuständig.
Ist dieser Schachzug der der Genderbefürworter – und – befürworterinnen nun Feigheit? Oder Schlitzohrigkeit? Oder Populismus? Oder gar Machiavellismus?
Man mag darüber streiten. Auf jeden Fall hat diese Fraktion im Rat vorerst ihr Ziel erreicht: keine Entscheidung! Jeder und Jede im deutschen Sprachraum können auch fortan tun und lassen, was sie wollen. Lehrerinnen und Lehrer, Verwaltungskräfte und Redakteurinnen hatten händeringend an den Rat appelliert, endlich Klartext zu sprechen. Er hat auf ganzer Linie versagt! Die dafür Verantwortlichen leben auch zukünftig weitgehend ungestört in ihrem Kokon scheinbarer Wissenschaftlichkeit, fernab von den Problemen der Niederungen, etwa der Bewertung von Diktaten. Im Übrigen setzen sie auf Zeit und hoffen darauf, dass die – in ihren Augen- widerspenstigen alten, weißen, heterosexuellen Männer demnächst den Rat verlassen. Dann, so hoffen sie weiter, werde obendrein die Mehrheit der Deutschsprachigen das Gegenteil des bislang Vertretenen wollen und der „Rat für deutsche Rechtschreibung“ anders urteilen. Dann nähmen lautstarke Minderheiten wie LGBTQ-Gruppen das Heft in die Hand und überwänden ihre derzeit durchaus vorhandene Diskriminierung.
Noch freilich gibt es Widerstand: In Hamburg und, demnächst, in Baden-Württemberg laufen Volksbegehren gegen das „Gendern“ im öffentlich-rechtlichen Raum, sind die Sonderzeichen in Niederösterreich und in der Hertie-Stiftung verboten, sieht ein Erlass in Bayern vor, dass im kommenden Schuljahr das „Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung“ oberste Richtschnur sei. In den Schulen im Freistaat, in Schleswig-Holstein und Sachsen ist damit das Gendern verboten.
Das Engagement vieler Menschen ist vonnöten!