Ich habe mir gerade, gegen Geld selbstverständlich, „Melanie“ von Melanie Safka gezogen. Ganz selten ist es, dass ich aus Reminiszenzgründen etwas kaufe, was ich viel früher schon einmal hatte. Aber es gibt einige Kunst, die ganz wesentlich für mich war. So wie ganz früh, als Kind noch — ich mag 10 oder 11 gewesen sein — Kalle Blomquist, der Meister-Detektiv oder Bonjour Tristess oder Scotts letzte Fahrt, bei Brockhaus erschienen, zwei braune leinenbeschürzte Bücher, ich habe sie noch. Und später dann mit dreizehnvierzehn Jahren Juliette und Justine in einer weitgehend vollständigen Übersetzung, die ich voll Widerwillen und Hingezogenheit las. Der Film „Der Kongress tanzt“, und ich verliebte mich, gerade aus der Kinderheit in die Pubertät gefallen, für alle Ewigkeit in Lilian Harvey, die da schon drei oder vier Jahre in eben diese Ewigkeit abgereist war. Oder das Violinenkonzert 1 Ddur von Tschaikowsky, mit David Oistrach und dessen dreckiger, eisiger, stürmischer, tobender, weinender, leidender, hilfesuchender Ton, dem großen David Oistrach, der eine Geschichte auf der Violine erzählt, als läse Otto Sander einen Roman von mir mir vor und machte ihn ganz zu seinem.
So auch diese Platte von Melanie. Die ich hörte ich an einem Tag, da war ich achtzehnneunzehn, Stunde um Stunde und nahm die Lieder, die Stimme, den Klang als Eisenbahn aus der Welt um mich in einen Himmel aus Träumen und Vergessen. Das war als B. mich verließ und alles forttrug, mein Herz, meine Zukunft, alle Sicherheit, B. so wundervollen Geruch auch, ihre guten Worte, ihre warme Haut, ihr Abenteuertum.
Doch Melanie half mir und als ich, eingeschlafen zwischendurch, in der Stille meines Zimmers erwachte, hatte ich mein Herz in der Brust, meine Zukunft vor mir, meine Sicherheit in der Seele, alle Worte im Gedächtnis, so viele fremde Gerüche in Aussicht, so viel warme Haut noch zu finden und alles Abenteuertum im Kopf. Und Melanies Lieder.
Und weil sich nichts, gar nichts geändert hat, habe ich mir diese Platte wiedergeholt wie eine Erinnerung.