Gustav Landauer im AV-Verlag
Der deutsch-jüdische Anarchist Gustav Landauer nimmt innerhalb des deutschsprachigen Anarchismus eine Sonderstellung ein – er lässt sich weder richtig in die Tradition des Anarchismus der Arbeiterbewegung einordnen wie z.B. ein Rudolf Rocker, noch in die bohemienhafte Kulturströmung des Anarchismus à la Erich Mühsam, aber er läßt sich auch nicht als ein eigenständiger Philosoph vom Niveau eines Stirners oder Kropotkins. Nichts desto trotz hat er für die Entwicklungen des modernen Anarchismus in Deutschland einen wichtigen Beitrag geleistet. In den letzten Jahren neuaufgelegte Schriften wie “Die Revolution” (Unrast Verlag) oder “Aufruf zum Sozialismus” (Oppo-Verlag) haben immer noch ihre Aktualität bewahrt.
In der Öffentlichkeit wird Gustav Landauer – außerhalb des anarchistischen Spektrums – auch vorrangig unter anderen Aspekten und Gesichtspunkten gewürdigt. Seine Übersetzungen von den Shakespeare‘schen Werken als auch von Oscar Wilde sind im Handel erhältlich und werden bei größeren Verlagen immer wieder neuaufgelegt. Ebenso sind seine Freundschaft mit dem libertären Religionsphilosophen Martin Buber und seine Bezüge zum Judentum immer wieder Anknüpfungspunkte für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihm. So fand unter der Leitung von Hanna Delf und Gerd Mattenklott (+) 1997 eine wissenschaftliche Konferenz zum Thema anlässlich von Landauers 125. Geburtstag statt.
Bislang liegen die Werke von Landauer lediglich vereinzelt vor bzw. sie sind seit langem vergriffen. Versuche, eine Werkausgabe herauszugeben scheiterten sowohl Anfang der 90er Jahre beim Verlag Lambert Schneider oder blieben in der Veröffentlichung eines Bandes wie im Falle des Akademie-Verlages stecken, wie Siegbert Wolf, der Herausgeber der vorliegenden Ausgabe im Vorwort berichtet (vgl. S. 12). Als Anliegen der nun bei AV publizierten Ausgabe erklärt er: “Die vorliegende Werkausgabe erinnert an Gustav Landauer (1870-1919), eine bedeutende Persönlichkeit am Ausgang des 19. Jahrhunderts und in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Nahe gebracht werden soll das Denken und Wirken eines Handelnden, dessen Leben als Anarchist und polyglotter Gelehrter maßgeblich von den Werten der Freiheit, sozialen Gerechtigkeit und Emanzipation bestimmt war.” (S. 9)
Der erste Band der “Ausgewählten Schriften” trägt den Titel “Internationalismus” und beinhaltet vorrangig Beiträge aus der Zeitschrift “Sozialist”, dem Organ der oppositionellen Jungen in der SPD, sowie weitere z.T. bislang unveröffentlichte Texte. Gustav Landauer gab die Zeitschrift “Der Sozialist” von 1909 bis 1915 – zeitweise unterstützt durch Margarethe Faas-Hardegger – heraus. Sie belegen die Anteilnahme Landauers am internationalen Geschehen – sei es in Europa, Asien oder auch USA. Dabei finden sich eine Reihe von Neu- und Erstdrucken von Landauers Texten in dieser Ausgabe. Die Auswahl der Texte wird leider von Siegbert Wolf nicht näher erläutert.
Eingerahmt wird die Ausgabe durch eine Gesamteinleitung sowie von einer spezifischen Einleitung zum vorliegenden Band und einer Zeittafel, die auch interessierten Laien den Zugang zum Werk Landauers erleichtert. Auf eine allgemeine Darstellung des Wirkens von Gustav Landauer wurde bewußt verzichtet. Siegbert Wolf, der bereits andere Texte von Landauer editiert hat und auch für die beim Junius-Verlag erschienene Einführung verantwortlich ist, hat diese Texte mit editorischen Anmerkungen versehen und nach Ländern geordnet gruppiert. An manchen Stellen bleibt allerdings die Frage, inwieweit sich die entsprechenden Texte unter das Schlagwort “Internationalismus” fassen lassen. Bei einem Bericht über die Persönlichkeit Bakunins oder Proudhons kommen dabei sehr schnell Zweifel auf, ob das unter dem Titel “Internationalismus” gefaßt werden kann. Auch die im Vorwort benannte Fokussierung auf den “Anarchisten” Landauer stellt sich sehr schnell als Krücke heraus – in Landauers Kommentar zur antisemitischen Dreyfußaffäre schwingt seine Auseinandersetzung mit jüdischer, zionistischer Politik mit. Seine Position lässt sich nicht in eine Schublade pressen. Das mindert aber die Qualität der vorliegenden Werkausgabe in keiner Hinsicht. Die Publikation ist ein wichtiger Schritt für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Werk Landauers, die bislang immer noch in den Kinderschuhen steckt. Seine Texte haben nicht nur einen historischen Wert, sondern bieten immer noch im Konzept des kommunitären Anarchismus aktuelle Ansätze, die eine Auseinandersetzung mit seinem Werk fruchtbar machen.
Maurice Schuhmann
Weitere Titel aus der Reihe:
Ausgewählte Schriften, Band 2: Anarchismus