Mohamed Amjahid ist unter die Weißen geraten. Gleich zweimal. In seinem Reisebuch in das Seelen- und Geistesleben vieler Deutscher nimmt uns Amjahid mit in eine bizarre und pittoreske Welt aus geistiger Armut, gutem Willen, nettem Bemühen und Besserwisserei, die wir eigentlich schon kennen sollten, wie unsere Heimat, denn wir bevölkern diese Welt und machen sie zu einer Monty-Phyton-Show aus Helfern, Hassern, Humanisten (ein Steigerungsbegriff wie Islamist, in diesem Falle).
Das Buch ist ein gutes Buch, nein mehr noch: es ist ein wichtiges Buch. Eines, das ich gerne im Unterricht sehen würde. In ihm wimmelt es von wirklichen Gestalten: Da erklärt der gutmütige Philorassist dem Frankfurter Journalisten Amjahid die Funktion des Radwegs. Und tut es radebrechend. Da sitzen die Kommilitonen bei dem Vortrag einer chinesischen Studierenden und machen sich über sie lustig in Nachäffereien ihrer Aussprachefehler, verkennen aber dass es sich nicht um eine Japanerin handelt und wählen die übliche Verballhornung japanischen Akzents.
Da ist die Schildung der ersten Erlebnisse des hier in Kinderjahren aufgewachsenen Journalisten; von Rassismus schon jene frühe Zeit geprägt. Die Eltern, die sich bemühen deutsch zu sein, so gut es nur eben geht, und die doch immer nur die Ausländer bleiben. Jeder Versuch der Integration wird unterminiert durch die Dummköpfe, die zwar nicht den öffentlichen Diskurs bestimmen, aber das persönliche Leben. In der Bäckerei und dem Supermarkt, im Restaurant und der Drogerie. Amjahid schildert den gewalttätigen Rechtsradikalen, der die Mutter schlägt — und schildert die Polizei, die nicht ermitteln will. So ist das hier, ja so sind, nicht immer, oft jedoch, die Verhältnisse. Die Familie geht, verlässt Deutschland. Der Junge, geborener Frankfurter, kommt zurück um zu studieren. Welch ein Stießrutenlauf schon das. Wer, wie ich, als weißer deutscher Mensch geboren wurde, hier aufgewachsen ist, für den sind die Schilderungen wichtige Lehre — und bleiben doch nur Schilderungen. Weil das persönliche Erleben fehlt. Da ist man in der Erlebniswelt näher an Romeo (denn vergeblich geliebt haben ja die meisten schon einmal), an den von uns gespielten Helden unserer Jugendzeit. Einen Zipfel der Zwangsbekleidung aus rassistischen Vorurteilen und Zurückweisungen, Erhebungen unserer Gegenüber, an Erniedrigung unsererselbst haben wir noch nie in der Hand gehabt.
In einer wunderbaren Sprache, deren hoher Stil und deren ebenso warme, wie distanzierte Verwendung dem Thema angemessen sind, schreibt Mohamad Amjahid uns, auch mir, hinter die Ohren, wie wir sind, wie man uns erlebt, wenn man nicht zu diesem Wir gehört, und gibt uns damit die Erkenntnis mit auf den Weg, was zu tun wäre, um uns zu ändern.
Wenn er am Münchner Hauptbahnhof zur Zeit dessen, was so leichtfertig wie boshaft als Flüchtlingskrise bezeichnet wird, eine Reportage für die FAZ schreiben will und trotz wiederholtem Hinweise auf seine journalistische Tätigkeit zwanghaft mit Brötchen und guten Worten für seinen weiteren Aufenthalt als Flüchtling versehen wird, weil er eben ein Bild abgibt, eine Folie ist, eine Projektionsfläche. Und man nicht verstehen kann – in diesem Kann liegt die Verheerung – dass er, obwohl er aussieht wie einer der anreisenden Flüchtlinge keiner ist. Denn das Außen hat das Innen zu sein.
Es ist ein Buch, dass nicht nur für den Augenblick gilt, nicht nur für diesen Augenblick gelten darf. Es zeichnet ein scharfes Bild von Rassisten aller Art, den guten, den böswilligen, denen, die durch Hilfe für andere ihr desolates Leben tapezieren wollen.
Ich bitte sehr die Lehrerinnen und Lehrer, die diese Seite ja auch lesen: Besorgen Sie sich Klassensätze, laden Sie den Autor ein. Es wird sich lohnen.

Ein Buch mit Auszeichnung. Unbedingt lesenswert!
Mohamed Amjahid, Unter Weissen – Was es heißt priviligiert zu sein, Hanser Berlin, ISBN 978-3-446-25472-5, 16 €